Birkenbihl beschreibt in ihrem Vortrag „Wie funktioniert dein Kopf“, wie entscheidend es ist, welche Wörter wir verwenden. Weiters haben die Autorinnen Stefanie Kara und Claudia Wüstenhagen in ihren Artikel „Sprachpsychologie: Die Macht der Worte“ und „Die kleinen Verräter“, welche beide auf ZEIT ONLINE publiziert wurden, die Bedeutung von Sprache und Wortwahl aufgezeigt.
Wenn wir über die Wirklichkeit reden, beschreiben wir die Wirklichkeit mit Wörtern. Und die Wörter, welche wir verwenden, sind beeinflussend – allerdings ist das den meisten von uns nicht klar. Wenn wir das Wort „Bulle“ benutzen, haben wir ein anderes Bild, als wenn wir von einem „Polizisten“ reden. Wann sind Menschen „Terroristen“ und wann sind sie „Freiheitskämpfer“? Je nachdem, wie wir die Situation sehen, verwenden wir die uns entsprechenden Wörter. Wenn wir Feindbilder aufbauen (wollen), benutzen wir Wörter, die entmenschlichen.
Die Art der Sprache, in der wir denken, bestimmt, was wir denken können.
Zum BEISPIEL: Verdinglichung
„Machen Sie eine Faust und dann öffnen Sie Ihre Hand.“
Frage: „Was ist mit der Faust passiert?“
Häufigste Antwort: „Sie ist verschwunden.“
Die Antwort im Beispiel verdeutlicht, dass wir Europäerinnen von der irrigen Annahme ausgehen, dass es etwas gäbe, für das wir ein Hauptwort haben, genannt „Faust“. Es gibt aber keine „Faust“. „Faust“ ist ein Moment eines dynamisch, pulsierenden Bewegungsprozesses, den wir festfrieren und benennen. Das heißt, wir in den indoeuropäischen Sprachen, haben Hauptwörter für solche Prozesse (Faust, Blitz, Puls, Impuls, Welle, …) festgelegt. Die Hopi Indianerinnen haben in ihrer Sprache dafür nur Verben (fausten, blitzen, pulsen, impulsen, wellen, …). Das heißt, auf Grund der jeweiligen Sprache sieht eine Hopi eher Prozesse in der Welt, wir dagegen sehen eher materielle Gegenstände und Dinge.
Die Sprachforscherinnen sind sich darin einig, dass Wörter uns tagtäglich darin beeinflussen, wie wir denken und handeln, was wir wahrnehmen und woran wir uns erinnern. Wer einen Roman aufschlägt, eine Liebeserklärung bekommt oder in einen heftigen Streit gerät, der spürt, wie Sprache berührt. Auch unsere eigenen Wörter wirken auf uns. Wenn wir etwa ein Tabuwort aussprechen, kann das bei uns selbst körperlich messbare Stresssymptome hervorrufen. Oft jedoch bekommen wir den Einfluss der Wörter gar nicht mit. Deshalb kann man uns so gut manipulieren, mit Marketing zum Beispiel. Studien ergaben, dass allein die Beschreibung von Lebensmitteln das Geschmackserlebnis beeinflussen kann: Gebäck schmeckt besser, wenn es laut Speisekarte nach einem „Rezept der Großmutter“ gebacken oder „traditionell“ erzeugt wurde. Unsere Wahrnehmung lässt sich also von Begriffen leiten.
Guy Deutscher hat das Buch „Im Spiegel der Sprache“ geschrieben, in dem er die Muttersprache als Linse beschreibt, durch die wir die Welt sehen. Sie beeinflusst unsere Wahrnehmung und unsere Erinnerung. Sprecherinnen unterschiedlicher Sprachen sehen die Welt auf unterschiedliche Weise.
Stephen Levinsons Reise zu den Aborigines unterstützt diese Annahme. Legendär sind seine Erkenntnisse über die Aborigines der Gemeinde Hopevale und deren Sprache Guugu Yimithirr. Diese kennt keine relativen räumlichen Beschreibungen wie „vor“, „hinter“, „neben“, „rechts“ oder „links“. Stattdessen verwenden die Aborigines absolute Beschreibungen nach Himmelsrichtungen. In Guugu Yimithirr sagt man nicht: „Rechts neben deinem Fuß sitzt eine Ameise“, sondern „Nördlich von deinem Fuß sitzt eine Ameise“. Und wer ein Buch liest, blättert darin weder vor noch zurück, sondern, je nach Sitzrichtung, ost-, süd-, west- oder nordwärts. Somit ist klar: Um Guugu Yimithirr sprechen zu können, ist es notwendig, permanent die Orientierung zu behalten. Als Levinsons Probandinnen in entlegene Gebiete kutschierte, konnten diese jederzeit exakte Angaben zu Himmelsrichtungen und zur Lage bestimmter Orte machen, auch bei Nacht und in fensterlosen Räumen. Sie haben die Himmelsrichtungen so verinnerlicht, dass sie sie auch in ihre Gesten integrieren. Selbst wenn sie nach Jahren von einem Ereignis berichten, deuten ihre Hände dabei in die korrekte Richtung. Levinsons geht davon aus, dass die speziellen Erfordernisse ihrer Sprache diese Fähigkeit hervorbringen. Denn ohne perfekte Orientierung kann man auf Guugu Yimithirr nicht einmal die einfachsten Dinge erzählen. Wer diese Sprache spricht, trainiert also automatisch auch seinen Orientierungssinn.
Räumliche Wahrnehmung ist aber erst der Anfang. Experimente deuten darauf hin, dass Menschen Ereignisse unterschiedlich beschreiben und sich im Nachhinein auch unterschiedlich daran erinnern je nach Sprache, die sie sprechen. Im Englischen etwa tendieren Menschen dazu, stets zu benennen, wer etwas getan hat, sagt die Psychologin Lera Boroditsky. Selbst wenn jemand aus Versehen eine Vase umwirft, heißt es „Jane hat die Vase zerbrochen“. Im Spanischen und Japanischen dagegen sei es in diesem Fall eher nicht üblich, die Verursacherin zu benennen. Da sage man eher „Die Vase ist zerbrochen.“ oder sogar „Die Vase hat sich zerbrochen“.
James Pennebaker und seine Kollegen untersuchen das „Treiben der kleinen Wörter“ und sind zu regelrechten Wortdetektiven geworden, so haben sie Dutzende von unbewussten Mustern aufgespürt: Männer benutzen öfter die bestimmten Artikel, weil sie häufiger über Dinge und Fakten redeten. Jüngere Menschen benutzen mehr Personalpronomen und Modalverben (können, müssen), ältere mehr Artikel und Präpositionen, weil sich im Laufe des Lebens der Fokus verschiebe, von der eigenen Person hin zu den Dingen, die uns umgeben. „Wörter sind ein Feedback-System, wie der Tacho im Auto“, sagt Pennebaker. Nicht immer ist die Erkenntnis angenehm, das musste der Psychologe selbst erfahren. Einmal lief er tagelang mit einem digitalen Rekorder herum, der sich hin und wieder einschaltete und Sprachschnipsel aufnahm. Als Pennebaker seine Proben analysierte, war er bestürzt darüber, wie er mit seinem zwölfjährigen Sohn sprach: „Ich dachte immer, ich sei warmherzig. Aber ich redete daher wie ein kalter, distanzierter Kotzbrocken!“